NZZ (09.11.2018) Immer mehr Menschen arbeiten via Internetplattformen. Um die Innovationskraft des digitalen Arbeitsmodells auszuschöpfen, sollte man die wachsende Flexibilität mit sozialer Sicherheit kombinieren. Es drängen sich neue Formen der Absicherung auf.
Die Plattformarbeit ist der Gegenentwurf zur Festanstellung bis zur Pensionierung mit geregelten Bürozeiten. Sie passt in die flexible Arbeitswelt mit Home-Office, Teilzeitjobs und Temporärarbeit. Zu den bekannten Plattformanbietern zählen der Fahrdienst Uber, der Lieferdienst Deliveroo oder die Freelancer-Firma Upwork; es gibt aber zahlreiche weitere Vermittler von Selbständigen, sei es für Nachhilfe, Designarbeiten, Rechtsberatung oder IT-Dienstleistungen.
Die Arbeit via Internetplattformen polarisiert, denn sie weckt ebenso Ängste wie Hoffnungen. Die einen wittern darin eine moderne Form der Sklaverei, die anderen preisen den Gewinn an Freiheit und Selbstbestimmung. Der gefragte Softwareentwickler, der sich problemlos absichern kann, erfüllt sich in der Tat seinen Traum von der Selbständigkeit. Anders sieht es für den digitalen Mini-Jobber aus, der viele kleine Aufträge zu schlechten Konditionen annimmt und keine adäquate soziale Absicherung hat. Die Arbeitsrealitäten sind vielschichtig und liegen wohl meist irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Für viele stellt die Tätigkeit zudem eine Nebenbeschäftigung dar.
Die Welt rückt zusammen
In den USA hat sich die Gig-Economy, wo die Arbeitskräfte in der Regel je Auftrag (Gig) bezahlt werden, am schnellsten verbreitet. Der Anteil der Gig-Worker an der Erwerbsbevölkerung wird auf bis zu 4 Prozent geschätzt. Die Zahl der Plattformarbeiter nimmt auch hierzulande zu, wobei die Personen ihr Know-how und ihre Dienstleistungen meist im Nebenerwerb anbieten. Detaillierte Erhebungen existieren nicht, der Stellenwert der Arbeitsform dürfte aber nach wie vor gering sein. 85 Prozent aller Beschäftigten arbeiten noch immer in unbefristeter Anstellung mit fixem Lohn und bezahlten Ferien. Dennoch sollte das Wachstumspotenzial nicht unterschätzt werden. Der Markt für Freelancer könnte laut Experten dereinst deutlich grösser werden als derjenige für Temporärangestellte. Denn die Zahl der Internetplattformen wächst, ebenso wie das Bedürfnis nach örtlicher und zeitlicher Anpassungsfähigkeit und nach Kostenersparnissen.
Aus Sicht der Beschäftigten sind die niedrigen Eintrittshürden der grösste Vorteil. Ein Freelancer aus Vietnam kann sich online Informatik-Know-how aneignen und sich durch gute Arbeit im Netz eine Reputation aufbauen. Er trägt allerdings das Geschäftsrisiko und sitzt unter Umständen lange auf offenen Rechnungen. Auf dem weltweiten digitalen Arbeitsmarkt hat er aber gute Chancen, weil er seine Dienste deutlich günstiger anbieten kann als jemand, der seinen Lebensunterhalt in der Schweiz verdient. Die globale Konkurrenz sorgt für Lohndruck und die Verlagerung von Tätigkeiten.
Obwohl Schweizer vermehrt im Wettbewerb stehen, ist bis jetzt aufgrund der verfügbaren Daten keine Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse festzustellen. Ob in Zukunft die Vor- oder die Nachteile der Plattformarbeit überwiegen werden, hängt vor allem von der Gestaltung des digitalen Wandels ab. Gefordert sind Plattformanbieter, Sozialpartner und die Politik. Es gilt, die Arbeitsbedingungen und die soziale Sicherung zu erhalten, ohne dass die Flexibilität der Arbeit und die Innovationskraft dadurch gehemmt werden.
ie Diskussion dreht sich vor allem darum, ob es sich bei den Firmen um Vermittler oder um Arbeitgeber handelt. Die Plattformen haben nämlich Arbeitsformen geschaffen, die sich rechtlich oft in einer Grauzone zwischen Selbständigkeit und Anstellungsverhältnis bewegen. Das prominenteste Beispiel ist der Fahrdienst Uber, der nicht als Arbeitgeber eingestuft werden will. Die Frage beschäftigt vielerorts die Gerichte. Für die Schweiz wurde noch kein endgültiges Urteil gefällt. Der Fall Uber lässt sich auch nicht einfach auf andere Plattformen übertragen. Vielmehr muss jedes Arbeitsverhältnis einzeln analysiert werden, damit man bestimmen kann, ob ein Unternehmen als Arbeitgeber gilt und daher Sozialabgaben leisten muss.
ie Diskussion dreht sich vor allem darum, ob es sich bei den Firmen um Vermittler oder um Arbeitgeber handelt. Die Plattformen haben nämlich Arbeitsformen geschaffen, die sich rechtlich oft in einer Grauzone zwischen Selbständigkeit und Anstellungsverhältnis bewegen. Das prominenteste Beispiel ist der Fahrdienst Uber, der nicht als Arbeitgeber eingestuft werden will. Die Frage beschäftigt vielerorts die Gerichte. Für die Schweiz wurde noch kein endgültiges Urteil gefällt. Der Fall Uber lässt sich auch nicht einfach auf andere Plattformen übertragen. Vielmehr muss jedes Arbeitsverhältnis einzeln analysiert werden, damit man bestimmen kann, ob ein Unternehmen als Arbeitgeber gilt und daher Sozialabgaben leisten muss.
Dass sich Sicherheit und Flexibilität nicht widersprechen, sondern Hand in Hand gehen können, zeigen auch die Anstellungsverhältnisse mit grösserer individueller Handlungsfreiheit in den Firmen. Arbeitgeber fördern diese, um Fachkräfte anzuziehen. Sie suchen vermehrt «Unternehmer im Unternehmen», um in Zeiten der Digitalisierung die Innovationskraft zu steigern. Gleichzeitig sinkt für die Firmen aber der Anreiz, in die Aus- und Weiterbildung zu investieren. Denn Mitarbeiter wechseln öfter die Stelle oder werden durch Restrukturierungen dazu gezwungen.
Sozialpartner sind gefordert
Einen Mittelweg zwischen Festanstellung und Selbständigkeit geht etwa die Zürcher Firma Coople, die über eine App kurzfristige Arbeitseinsätze vermittelt. Sie ist rechtlich eine Temporärfirma, weshalb für die Jobs der Gesamtarbeitsvertrag der Personalverleih-Branche gilt, mit besserer Altersvorsorge und Krankentaggeldschutz, branchenspezifischen Mindestlöhnen und subventionierter Weiterbildung.
Die Digitalisierung stellt die Sozialpartner generell auf die Probe. In manchen Ländern sind Organisationen entstanden, welche die Interessen der Gig-Worker vertreten. Auf globaler Ebene wird im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nach Wegen gesucht, wie auf die digitale Herausforderung reagiert werden soll. In der Schweiz fusst die Sozialpartnerschaft noch stark auf der Lohnarbeit. Sie könnte sich künftig aber mehr gegenüber selbständigen Erwerbstätigen öffnen, etwa mit Dienstleistungen für die Pensionskasse, die Unfallversicherung oder das Krankentaggeld. Grundsätzlich sind Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern geeigneter als staatliche Regulierungen. Dafür müssen sie aber über wohlklingende Floskeln hinausgehen, wie sie die Sozialpartner jüngst in einer Erklärung zur Zukunft der Arbeit formuliert haben.
Reformbedarf besteht darüber hinaus bei den Sozialversicherungen, die vorwiegend auf stabile Arbeitsverhältnisse ausgerichtet sind. Künftig sollten gering bezahlte, temporäre oder unregelmässige Tätigkeiten besser abgedeckt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Personen, die mehrere Jobs ausüben, nicht richtig versichert sind, weil jede der Tätigkeiten für sich allein keine Ansprüche begründet. Die notwendige Anpassung der Sozialversicherungen sollte auch den Übergängen zwischen den Jobs besser Rechnung tragen und stärker auf das Individuum zugeschnitten sein. Wenn die Gig-Economy hierzulande einen bedeutenden Stellenwert erlangt, könnte auch eine weitere Kategorie zwischen Selbständigen und Festangestellten ins Auge gefasst werden, die den Erwerbstätigen einen im Vergleich mit dem Angestelltenverhältnis abgespeckten Schutz gewährt.
Die Arbeitsplatzsicherheit wird zunehmend von der Arbeitsmarktfähigkeit abgelöst.
Letztlich ist es eine Frage der richtigen Balance zwischen Sicherheit und Flexibilität, wenn die Arbeitsformen nicht nur für jene Beschäftigten funktionieren sollen, die sich problemlos aus eigener Kraft absichern können. Auch die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes wird gestärkt, wenn beides gut kombiniert wird. Sinnvoll scheint es dabei, auf bestehenden Strukturen und Regeln aufzubauen, wie das Beispiel von Coople zeigt. Werden dagegen übereilt unterschiedliche Einzelmassnahmen getroffen, droht eine Überregulierung, welche die Chancen des digitalen Arbeitsmodells hemmt.
Ohnehin vermischen sich im Lauf des Berufslebens immer häufiger selbständige und unselbständige Tätigkeiten. Gleichzeitig verändert sich das Verständnis von Sicherheit. Die Arbeitsplatzsicherheit wird zunehmend von der Arbeitsmarktfähigkeit des Freelancers oder des «Unternehmers im Unternehmen» abgelöst. Dieses Sicherheitsnetz wird durch lebenslanges Lernen gestärkt. Zentral ist deshalb, dass sich auch die Aus- und Weiterbildung anpasst und vermehrt das Individuum anstelle der Arbeitsbeziehung ins Zentrum rückt. Denkbar sind dabei etwa branchenweite und firmenübergreifende Lösungen. Insgesamt wird die Festanstellung flexibler, und die Arbeit der Freelancer könnte sicherer werden, wenn der Wandel entsprechend gestaltet wird. Ein Job in der Gig-Economy ist zwar der Gegenentwurf zu einer langjährigen, geregelten Festanstellung in einem Betrieb. Die beiden Welten dürften sich aber in Zukunft ähnlicher werden.