NZZ (07.02.2019) Der Kantonsrat will Ungerechtigkeiten bei der Prämienverbilligung ausmerzen –darüber sind sich die Parteien einig. Das ursprünglich geplante Sparvorhaben ist zudem vom Tisch, zur Debatte steht vielmehr, ob der Kanton noch mehr Geld ausschütten soll.
Auf den Sorgenbarometern ist das Thema jeweils zuverlässig zuoberst auf der Liste: die steigenden Krankenkassenprämien. Entsprechend intensiv setzen sich denn auch die Zürcher Kantonsräte damit auseinander. Über der Revision des Krankenversicherungsgesetzes hat die vorberatende Kommission gut 2 Jahre gebrütet und in 21 Sitzungen 130 Seiten Protokoll ausgestossen. Am Donnerstag hat sie nun ihr Ergebnis präsentiert. Immerhin ist es den Parlamentariern trotz der umstrittenen Materie gelungen, sich auf einen tragfähigen Kompromiss zu einigen. Die wichtigsten Punkte der komplexen Gesetzesrevision sind folgende:
- Bei der Revision ging es darum, das System der Prämienverbilligung zu überarbeiten. Im heutigen Modell gibt es diverse Ungerechtigkeiten. So haben beispielsweise studierende Kinder wohlhabender Eltern Anspruch auf Prämienverbilligung. Und selbst gut verdienende Erwachsene können in den Genuss von Staatsbeiträgen kommen. Massgebend ist heute das steuerbare Einkommen. Wer viele Abzüge geltend machen kann, hat plötzlich Anspruch auf Prämienverbilligung, auch wenn er das gar nicht nötig hätte.
- Die Gesundheitskommission ist sich darin einig, dass diese Fehler im System ausgemerzt werden müssen. Mit der Revision werden bestimmte Steuerabzüge für die Berechnung der Prämienverbilligung künftig nicht mehr berücksichtigt werden, beispielsweise Unterhaltskosten für die eigene Wohnung, soweit diese den Eigenmietwert überschreiten, Beiträge an die Säulen 2 und 3a der beruflichen Vorsorge sowie Spenden an gemeinnützige Organisationen. Bei erwachsenen Kindern in Ausbildung wird das Einkommen der Eltern und Kinder zusammengezählt. Nur wenn sich aus diesem Einkommen ein Anspruch auf einen Beitrag ergibt, wird dieser auch ausgerichtet.
- Zudem wird auch das Berechnungssystem für die Verteilung der Beiträge angepasst. Neu soll ein Prinzip gelten, das die meisten Kantone bereits anwenden. Der Grundgedanke ist dabei, dass jeder nur einen bestimmten Anteil des Einkommens für die Krankenkassenprämien aufwenden muss. Was über diesen Anteil hinausgeht, übernimmt der Kanton. Der Anteil wird so definiert, dass die zur Verfügung stehenden Mittel voll ausgeschöpft werden. Dabei soll aber auch in Zukunft darauf geachtet werden, dass rund 30 Prozent der Bevölkerung in den Genuss von Beiträgen kommen.
Wie die Kantone bei der Prämienverbilligung knausern
Diese Punkte sind unbestritten, die Zustimmung durch den Kantonsrat ist Formsache. Anders sieht es bei der Frage aus, wie viel der Kanton künftig für die Prämienverbilligung ausgeben soll. Mit den oben genannten Anpassungen kann Geld gespart werden. Der Regierungsrat wollte die frei werdenden Mittel dazu nutzen, die Staatskasse zu entlasten. Das hätte dazu geführt, dass der Kantonsanteil auf 70 Prozent des Bundesbeitrags gefallen wäre. Die Kommission will davon aber nichts wissen und plädiert nun dafür, den Kantonsbeitrag bei 80 Prozent zu belassen. Das eingesparte Geld, rund 20 Millionen Franken, soll vor allem Personen mit tiefem Einkommen zugutekommen.
90 Millionen Franken Mehrkosten
Eine Minderheit der Kommission will gar, dass der Kanton mehr Geld für Prämienverbilligungen ausgibt. Dabei würde der Kantonsbeitrag auf 100 Prozent erhöht. Für diese Variante sprechen sich SP, CVP, Grüne und AL aus. Die CVP hat zudem eine entsprechende Volksinitiative lanciert. Beim Unterschriftensammeln wird sie von der AL unterstützt.
CVP-Kantonsrat Lorenz Schmid begründete die Forderung damit, dass die Krankenkassenprämien in den letzten Jahren deutlich stärker angestiegen seien als die Löhne. Selbst für Mittelstandsfamilien sei es schwierig geworden, die Prämien zu tragen. Das heutige System mit Kopfprämien laufe deshalb Gefahr, den Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Das gelte es zu verhindern, wenn man nicht wolle, dass künftig einkommensabhängige Prämien eingeführt würden.
Zürcher CVP will 80 Millionen Franken mehr für Prämienverbilligungen ausgeben
Die Bürgerlichen halten von der Erhöhung nichts. SVP-Kantonsrat Benjamin Fischer rechnete vor, dass dies den Kanton 90 Millionen Franken pro Jahr kosten würde, was die SVP für nicht tragbar hält. Darin pflichtet ihr die FDP bei. Kantonsrätin Astrid Furrer argumentierte, dass dies reine Symptombekämpfung sei. «Gegen das eigentliche Problem, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, bringt das nichts.» Im Gegenteil werde damit vorübergehend noch etwas Druck weggenommen.
Weil auch die GLP auf der Seite der Bürgerlichen ist, dürfte die Erhöhung des Kantonsbeitrags im Parlament chancenlos sein. Der Grünliberale Kantonsrat Ronald Alder meinte, dass man nun zunächst gegen die Überkapazitäten bei den Spitälern und unnötige Eingriffe vorgehen müsse.
Verstösst Gesetz gegen Bundesrecht?
Neben der Beitragshöhe ist ein zweiter Punkt umstritten. In den vergangenen Jahren wurde vom Geld für die Prämienverbilligung ein zunehmender Teil an Bezüger von Ergänzungsleistungen (EL) und Sozialhilfe bezahlt. Der Kuchen für die übrigen Bezüger wurde damit immer kleiner. Das ist aber nicht nur eine sozialpolitische Frage, sondern auch eine juristische. Denn dass der Kanton Bundesgelder für die Prämienübernahme von EL- oder Sozialhilfebezügern verwendet, verstösst womöglich gegen Bundesrecht. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Thomas Gächter, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität Zürich, in einem Gutachten, das die AL in Auftrag gegeben hat.
Die kantonale Gesundheitsdirektion widerspricht dieser Einschätzung zwar. Eine knappe Mehrheit der Kommission ist jedoch der Meinung, dass das Gesetz angepasst werden müsse. Für die Prämienübernahmen sollen künftig nur noch Kantonsgelder verwendet werden. Laut AL-Kantonsrat Kaspar Bütikofer ist dies zwingend nötig, um längerfristig sicherzustellen, dass 30 Prozent der Bezüger Prämienverbilligung bekämen.
Die Anpassung würde aber auch bedeuten, dass der Kanton seinen Beitrag allenfalls sukzessive erhöhen müsste. Dagegen wehren sich die Bürgerlichen. Die Mehrheitsverhältnisse sind in dieser Frage sehr knapp, im Hintergrund wird noch verhandelt. Der Ausgang ist offen.